Die Höhlen von Lang Son
Thailand/Koh Samet 14.8.2013
Da wir noch zwei Tage Zeit hatten, bevor es zur abschließenden Kurzreise in die Ha Long Bay ging, suchte ich ein passendes Ziel, um noch nicht erlebte Facetten der Vietnamesen kennen zu lernen. Meine Wahl fiel auf Lang Son, eine boomende Stadt mit rund 80 000 Einwohnern im Nordosten Vietnams nahe an der chinesischen Grenze. Im Februar 1979 wurde die Stadt im Zuge heftiger militärischer Auseinandersetzungen mit China teilweise zerstört. Es gab auf beiden Seiten zehntausende Tote in nur 29 Kampftagen. Heute ist die Grenze nach wie vor schwer bewacht, doch der Handel zwischen den beiden Staaten floriert unterdessen. Wir wurden direkt vom Hotel in Hanoi von einem der mir schon bekannten „silbernen“ Personentransporter, die mir immer als besonders rücksichtlos in der Fahrweise aufgefallen sind, abgeholt. Diese Kleinbusse verbinden offenbar in allen Provinzen die wichtigsten Städte und Orte untereinander. Obwohl es nur ungefähr 150 km von Hanoi bis Lang Son sind, dauerte die Fahrt fast vier Stunden. Ständig hielt der Bus irgendwo und die Begleiterin versuchte, laufend noch mehr Fahrgäste anzuheuern, obwohl es ohnehin kaum mehr Platz zum Sitzen gab. Da war die Situation nicht viel anders als in den lokalen größeren Bussen. Auch diese Fahrt fand schließlich ihr glückliches Ende, als wir direkt vor dem Hotel in Lang Son abgesetzt wurden. Ich hatte meine Bekannte von der Agentur in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen gebeten, das beste verfügbare Hotel zu buchen. Ein imposanter Betonklotz türmte sich vor uns auf, wie immer in Vietnam mit protzigem Portal und Eingangsbereich. Leider konnte der Rest des Hotelbereichs meist nicht mit der ersten Optik mithalten. Genauso war es auch hier in Lang Son. Obwohl nominell ein Vierstern-Haus, war es real bestenfalls ein mäßiges Dreisternhotel, schmutzig, schlampig, billig eingerichtet und unangemessen im Preis. Das war wieder einmal eine typische Vietnam-Erfahrung, die ich mit der Zeit schon satt hatte. Nach Verarbeitung der ersten Enttäuschung begannen wir sofort mit der Erkundung der Umgebung. Am besten für das Abfahren der beiden Höhlen und der anderen Sehenswürdigkeiten wäre das Anmieten eines Motorbikes gewesen. Doch trotz intensivster Bemühungen war es unmöglich, einen Vermieter aufzutreiben. Überall standen Motorbikes herum, ganze Lagerhallen waren angefüllt, Verkaufshops waren zu sehen, aber niemand konnte oder wollte uns ein Bike vermieten. Es sprach kaum jemand auch nur ein Wort Englisch, die Leute wandten sich oft einfach ab und lachten. So viel Blödheit und Ignoranz waren mir zu viel. Ich war froh, das Land in wenigen Tagen zu verlassen. Im Süden wäre das auf diese Weise vermutlich nicht passiert. Es blieb uns nichts Anderes übrig, als zu Fuß zu gehen. Nach einer knappen Stunde Marsch quer durch die Stadt erreichten wir die Tam-Thanh Höhle. Der Zugang erfolgt über ein pagodenartiges Portal mit drei Toren. Dann geht es ein paar Stufen bergauf und man tritt in die beleuchtete Höhle. Sie liegt am Fuß eines Karstkegels und ist mit buddhistischen Altären ausgestattet. Im Inneren gibt es einen kleinen See. Weiter oben von einer Öffnung der Höhle aus, kann man einen wunderbaren Blick auf die Reisfelder der Umgebung werfen. Mit der Zeit bekamen wir Hunger, aber was tun in so einem gästefeindlichen Ort? Plötzlich sprach mich eine Vietnamesin in gutem Englisch an. Sie war ebenfalls im Bus gewesen und hatte uns wiedererkannt. Wir klagten ihr unser Leid und siehe da, sie war sehr hilfsbereit. Ohne unsere Absicht rief sie plötzlich ein vorbeifahrendes Taxi herbei, zahlte dem Chauffeur den Fahrpreis und sagte, wir sollten einsteigen, er würde uns zu einem geeigneten Restaurant bringen. So etwas hatte ich auch noch nicht gesehen, hier prallten wirklich alle Gegensätze aufeinander. Wir bedankten uns, und harrten der Dinge. Irgendwann und irgendwo hielt der Fahrer und deutete auf ein Lokal. Wir gingen hinein und staunten nicht schlecht. Im Gastraum schaute es aus wie auf einem Schlachtfeld. Die Tische waren übersäht mit schmutzigem Geschirr, Besteck, Gläsern und dreckigen Tischtüchern. Am Boden lagen Flaschen, schmutzige Servietten und Essensreste, ein Bild der Verwüstung. Und das Beste, niemand vom Personal dachte sich offenbar etwas dabei. Nach einiger Zeit hatten wir einen Tisch frei bekommen und bestellten, so gut es möglich war. Auch hier gab es kaum Verständigungsmöglichkeiten, nur mit Händen und Füßen, sowie durch Hingehen und Zeigen. Da es woanders nicht besser sein würde, fügten wir uns und genossen das gar nicht schlechte Essen so gut es ging. Während unseres Aufenthalts stürzte noch ein „Kellner“, der mit Gläsern und Geschirr unterwegs war, und vergrößerte den Sauhaufen nochmals um eine Dimension. Der Weg zurück zum Hotel war schnell gefunden und der erste Besuchstag in Lang Son erfolgreich hinter uns gebracht. Es war der 21. Juli und ich würde in fünf Tagen Vietnam verlassen.Trotz aller tollen Erlebnisse war ich irgendwie froh darüber, denn mit den Menschen hier war es gelegentlich sehr schwer. Nicht selten stieß man auf offene Unfreundlichkeit und dafür hatte ich nicht das geringste Verständnis. Unser Besuch in Lang Son war ein Beispiel dafür, aber bei weitem nicht das Einzige. Um die zweite Höhle zu erkunden, mussten wir erneut lange zu Fuß gehen. Am Weg gab es ein neu wirkendes tempelartiges Denkmal für Ho-Chi-Minh zu sehen, sowie eine Reihe ganz nett aussehender Häuserfronten. Wir schlenderten durch den belebten Markt, wo die Bauern der umliegenden Dörfer ihre Produkte anboten. Die Stadt war optisch nicht unattraktiv und die Lage in einer Art Kessel umgeben von Bergen wirkte anziehend. Gerne wäre ich an die chinesische Grenze oder zum einen oder anderen umliegenden Berggipfel gefahren, aber ohne passendes Fahrzeug musste ich diese Vorhaben leider vergessen. Die Nhi-Thanh Höhle liegt nicht allzu weit von der Tam-Thanh Höhle entfernt. Sie ist langgezogen und wird vom Ngoc-Tuyen Fluss durchströmt. Das Wort „Fluss“ ist übertrieben, denn in Wahrheit handelt es sich um einen kleinen stinkenden kloakenhaften Bach. Dennoch ist die Höhle sehr beeindruckend und die Altäre sind farbenprächtig geschmückt. Später wanderten wir weiter zu den Überresten der Zitadelle der Mac-Dynastie. Wir stiegen eine steinerne Treppe hoch und gelangten an einen reizvollen menschenleeren Ort. Es begann kurz zu regnen und wir fanden unter einem Holzanbau eines kleinen Häuschens Unterschlupf. Dann kletterten wir weitere Steinstufen auf einen der umliegenden Karsthügel hoch, die alle mit herrlichen Rundblicken aufwarten konnten. Ich hatte in Vietnam schon massenhaft beeindruckende Panoramen gesehen, aber trotzdem ist jedes für sich einzigartig und nicht duplizierbar. Mehr war ohne Bike hier nicht zu erreichen, daher drehten wir ins Hotel ab und freuten uns auf die Rückreise nach Hanoi. Es war irgendwie niederschmetternd, in einer so schönen Gegend in einem so schlechten Haus die Zeit absitzen zu müssen. Am nächsten Tag war die Abreise ursprünglich für 12 Uhr mittags geplant gewesen. Angesichts der tristen Situation kontaktierte ich meine Agentur und erhielt prompt die Zusage, bereits eine Stunde vorher abreisen zu können. Ich wollte mir die Zeitverschwendung in Lang Son einfach nicht mehr gönnen. Die Rückreise verlief ähnlich wie die Anreise, also auch nicht gerade sympathisch. Laufend wurden neue Gäste gesucht, obwohl der Bus eigentlich voll war. Es war vereinbart, uns vor dem Hotel in Hanoi abzusetzen, aber der Bus hielt bloß am Eingang der Straße, sodass wir mit dem Gepäck einige hundert Meter zu Fuß gehen mussten. Wieder so eine Aktion, um sich unbeliebt zu machen. Im Nachhinein lässt sich Vieles schön reden oder in diesem Fall schön schreiben, aber ich behielt meine jeweiligen Emotionen gut in Erinnerung und will sie authentisch wiedergeben. Im Moment der Betroffenheit wirkten die Handlungen der Menschen oft widerwärtig und abstoßend. Später schwächt sich Manches ab, doch das ist das Ergebnis des Zeitablaufs und der menschlichen Vergessenskurve. Wir kamen letztendlich gut in Hanoi an und fanden sogar noch Zeit einen allerletzten Bummel durch die Stadt zu machen. Dann deckten wir uns mit allerlei Köstlichkeiten aus meiner Bäckerei ein und packten unsere Koffer für den nächsten und letzten Ausflug innerhalb Vietnams. Ich hatte dieses prognostizierte Highlight auf den Zeitpunkt des Eintreffens meiner Freundin verschoben. |